Seelandschaft


Zeit der Monster ...

"Die alte Welt liegt im Sterben, die neue ist noch nicht geboren: Es ist die Zeit der Monster." Auf dieses Gramsci-Zitat berufen sich viele Studien, die sich mit dem Thema „Zeitenwende“ in der Gegenwart und näheren Zukunft auseinandersetzen. Die Bandbreite der Prognosen reicht von business as usual bis zu mittelschweren Dystopien, wobei insbesondere um die Position (West-)Europas in einer sich wandelnden Welt gebangt wird. Lesenswert ist der Artikel Die Zeit der Monster und die Ära der Verheerung von Albrecht von Lucke aus den "Blättern für auswärtige und deutsche Politik“, der hier online nachzulesen ist.
Die von Exkanzler Scholz ausgerufene Zeitenwende ist vergleichsweise perspektivlos, weil sie die politische Reaktion auf ein konkretes Ereignis (russischer Angriff auf die Ukraine) darstellt, aber keine konzeptionelle Ausrichtung auf den epochalen Wandel ist. Das hängt wohl auch damit zusammen, dass sich die deutsche Politik der Mitte mit der Fetischisierung der Schuldenbremse selbst gefesselt und handlungsunfähig gemacht hat.Das allein ist Grund genug einen Blick auf diese heilige Kuh der deutschen Politik zu werfen: Die Schuldenbremse.
Man sollte vielleicht noch erwähnen, wenn man -wie oben - Gramsci-zitiert, dass dieser eine sehr standhafte Persönlichkeit war, von dem auch der folgende Ausspruch überliefert ist: „«Man muss nüchterne, geduldige Menschen schaffen, die nicht verzweifeln angesichts der schlimmsten Schrecken und sich nicht an jeder Dummheit begeistern. Pessimismus des Verstandes, Optimismus des Willens» (Gefängnishefte, H. 28, § 11, 2232).“
Übriens, die drei Monster, die Lucke in seinem Aufsatz nennt; sind: autoritärer Nationalismus, Globalisierung des Krieges und die Zerstörung des sozialen Zusammenhalts. Wahrscheinlich hätte ein Analytiker aus dem Globalen Süden eine andere Zusammenstellung gewählt.
Die Gründe für das Scheitern deutscher Politik sollen hier nicht diskutiert werden, nur ein einzelner wirkmächtiger Grund sei im Folgenden näher beleuchtet: Die Schuldenbremse, die heilige Kuh deutscher Politik.

... und deutsche Narreteien...

Spätestens nach dem Aus der Ampel-Koalition, also keine drei Jahre nach Ausrufung der Zeitenwende (F), dürfte sich der Kanzler als Scheinriese entpuppt haben. Was ist aus den fünf Handlungsaufträgen nach fünf Jahren geworden? Soweit die westliche Zusammenarbeit betroffen ist, besteht die militärische Unterstützung der Ukraine zwar fort, aber mit deutlich zunehmenden Reibungsverlusten. Die Waffenlieferungen der europäischen Staaten können den Bedarf der Ukraine nicht befriedigen, um der Agression standzuhalten. Eine Strategie zur Beendigung des Krieges andererseits ist nicht erkennbar.
Nachdem das Sondervermögen Bundeswehr weitgehend aufgebraucht ist, entstehen für die kommenden Jahre zwangsläufig Finanzierungslücken: Die neue Regierung müsste Kürzungen vornehmen, um die 2%-Verpflichtung einzuhalten, aber wo? Oder aber die Schuldenbremse wird reformiert. Kanzler und Finanzminister der Ampel-Koalition verdienen den Titel, als Hilfsbuchhalter der Nation (1neu) in die Geschichte einzugehen. Zwei Buchhalter, die sich blockieren. Das Dogma Schuldenbremse dominiert, zum Schaden des Landes, seiner Handlungsfähigkeit und seiner Infrastruktur. Wäre es bei einer CDU geführten Regierung anders? Wie sich Ende 2025 gezeigt hat, durchaus! Gerade Konservative verfahren nach dem Prinzip: Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern!
Grund genug, das Thema Schuldenbremse näher zu beleuchten, denn dieses Dogma begrenzt den ökonomischen Horizont vieler deutscher Politiker mit erheblichen nationalen Verwerfungen. Dieses Thema wird auch nach der Wahl 2025 aktuell bleiben; geschrieben im Januar 2024.
Das Untermenu1 Schuldenbremse beschäftigt sich näher mit diesen Narreteien deutscher Politik
Das Untermenu2 soll apokalyptische Reiter heißen, der Text führt in die Thematiken Monster-eien; apokalyptische Reiter, Weltuntergangsszenarien etc. ein und verweist auf das Menu zum Thema Neue Welt in statu nascendi (unter construction).

(F) Die Fußnoten 1-7 der alten Textfassung bleiben online, weil sie einige wichtige Fundstellen zum Begriff Zeitenwende zitieren: "Der 24.2.2022 markiert eine Zeitenwende in der Geschichte unseres Kontinents", mit diesen Worten eröffnete Bundeskanzler Olaf Scholz seine Regierungserklärung vom 27.2. desselben Jahres. Nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine sei die Welt nicht mehr dieselbe wie davor.
(1) Damit verlieh der Kanzler diesem Überfall den Rang eines epochalen Ereignisses; d.h. die Zeitgewissheit verwandle in Zukunftsunsicherheit, so die begriffliche Bestimmung des Historikers M. Sabrow für Zeitenwende.(2) Und die Gesellschaft für deutsche Sprache kürte Ende 2022 diesen Begriff zum Wort des Jahres.(3) Damit wurde der Begriff "Zeitenwende" zum festen Bestandteil des "gesellschaftlichen Diskurses", wie die Friedrich-Ebert-Stifung in einer Studie zur Zeitenwende feststellte, die auf die Rede des Kanzlers ausführlicher eingeht.(4) Weitere lesenswerte Artikel, die auch unabhängig von der - sehr vergänglichen Kanzler-Rede - informativ sind, finden Sie unter den Fußnoten (5) und (6). (1)Regierungserklärung des Kanzlers am 27.2.2022. Offizieller Text der Regierung
(2) Martin Sabrow, hier nachzulesen
(3) laut Tagesschau vom 9.12.2022 oder auch hier nachzulesen.
(4)) Wer sich mit diesem Fachbegriff - unabhängig von der Kanzler-Rede - beschäftigen möchte, dem seien zwei weitere Artikel empfohlen: Der eine entstammt der Feder des schon zitierten Historikers Sabrow und verfolgt die Zeitenwende bis in die griechische Antike zurück, s. Fußnote 5; der andere wurde von Claudia Weber verfasst, genauere Angaben in der Fußnote 6 zu dieser Seite.
(5) abermals Michael Sabrow in einer Studie mit dem Titel Zäsur und Zeitenwende. Wo befinden wir uns? Er versucht dann den Terminus von gleichartigen abzugrenzen, um so die Zeitenwende an sich präziser zu fassen.
(6) Weber Claudia 2024: Zeitenwende? Zeitenwende! - https://verfassungsblog.de/zeitenwende-zeitenwende/ , auch auf diese Seite als pdf-Datei zugänglich. Die Historikerin Claudia Weber setzt ihren Schwerpunkt auf die Neuzeit (bes. ab 19. Jh.) und überprüft kritisch die sachliche Berechtigung, den Terminus Zeitenwende auf das Jahr 2022 anzuwenden. Sie kommt in ihrer scharfsinnigen Analyse (5) insgesamt zu einem negativen Ergebnis. Dem Kanzler ist nur in seinem Verweis auf die "Zeit der Großmächte des 19. Jahrhunderts" zuzustimmen. Seiner Ausgangsthese fehlt die sachliche Berechtigung, sie ist ein verbaler Paukenschlag aus dramatisch-rhetorischen Gründen. Deshalb auch die media-res-Technik als rhetorisches Mittel. Einzelheiten zu diesem Komplex auf einer speziellen Seite mit einer an Weber angelehnten Beweisführung s. Fußnote 7.
(7) hier nachzulesen


(1neu) Diese kleine Anspielung auf das Buch der Unruhe von Fernando Pessoa mit dem erweiterten Titel "... des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares" ist eine kleine Spielerei, die Figur Bernardo Soares weist mit unseren Lordsiegelbewahrern der Schuldenbremse wenig Gemeinsamkeiten auf. Die Berufsbezeichnung ist das Verbindende.